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Franz. Armee
Abschnitt IV

Diejenigen, welche, den Kopf voll von der Paradeplatzwissenschaft der letzteren Zeiten, sich’s haben angelegen seyn lassen, den Grund von dem Waffenglück der Franzosen aufzusuchen, sind von der Voraussetzung ausgegangen, daß ihre Exercierkunst ihn enhalten müsse. Sie haben unrecht, ihn darin aufzusuchen, und werden ihn niemals finden. Die Grundlage der kleinen Taktik, oder Exercierkunst der Franzosen heutigen Tages ist dieselbe, die sie vor der Revolution war. Sie hat dieselbe bleiben müssen, weil die Waffen dieselben geblieben sind, die sie damals waren. Die Franzosen haben keinesweges an die Stelle der europäischen Taktik eine asiatische, an die Stelle der modernen, eine antike gesetzt; man hat über ihre Taktik die sonderbarsten Meinungen gelesen und gehört, und man muß es also heraussagen: sie ist weder die griechische, noch die römische, noch die persische; die Franzosen haben weder die Lanzen, noch die Pfeile, noch die Schilde wieder angenommen; weder der Layrinx, noch der Phalanx, noch der Keil der Gallier, ja nicht einmal die weit neuere Follardsche Colonne ist bei ihnen eingeführt worden. Die Franzosen theilen sich in Regimenter, Bataillons und Compagnien ein; sie stellen sich in drei Gliedern auf, ganz wie alle Armeen heutiger Zeit, die Größten auf der Rechten und Vorne; sie richten sich schnurgerecht; sie machen halbrechts und halblinks, und Rechtsumkehrt, wie Alle; sie deployiren und schließen auf, sie brechen ab und marschiren auf; mit Einem Wort, sie bedienen sich aller Schulexercitien, welche die Oesterreicher, Russen, Preußen, Hessen, Sachsen und alle neuere Völker üben. Man darf nur die Exercier-Reglements der französischen Armee ansehen, welche unter dem Titel von Ordonnanzen, gedruckt vorhanden sind; die zur Fundamental-Regel angenommene Ordonnanz der Revolution ist die vom 1. August 1791; sie enthielt, die militärische Kunst betreffend, durchaus dieselben Grundsätze, die in den Ordonnanzen der verschiedenen Könige angenommen worden waren; die Abänderungen bestanden bloß in einigen Formen, die die neue Ordnung der Dinge wollte, und eben diese Ordonnanz ist im Jahre 1805, mit eben so, in taktischer Rücksicht, unwesentlichen Modificationen, von Neuem herausgegeben worden. Dies ist der Katechismus der Offiziere und Unteroffiziere für die Theorie der Paradeplätze. Eine nähere Beleuchtung dieser Theorie steht hier wohl nicht am unrechten Orte. Wir wollen auf den Unterricht des französischen Soldaten in den Anfangsgründen der Kunst, wie er ihm im Depot gegeben wird, einen Blick werfen. Er muß die verschiedenen Marschirschritte lernen. Der natürliche menschliche Schritt wird zergliedert; man läßt den Lehrling auf Einem Bein balanciren und das Gleichgewicht, welches er seit seiner Entwöhnung von der Amme, ohne daran zu denken, gehalten hat, nach Grundsätzen suchen; man schreit ihm zu, die Brust herauszustrecken, die Schultern zurückzuziehen, die Hände mit der Höhlung nach Vorn zu drehen, den Unterleib einzuziehen, und die Fußspitzen nach dem Winkel, den die Ordonnanz vorschreibt, auswärts zu kehren. Die ausländischen Exercierkünstler würden auf den Paradeplätzen in Frankreich ihre eigenen Schulgrundsätze in Anwendung wiederfinden, sie würden dort alle die kleinen, bei ihnen gewöhnlichen Uebungen, bis zu den unbequemsten, schwierigsten und unanwendbarsten wieder erkennen. Alles, was erfahrene Kriegsmänner schon lange für unnütz im Felde erklärt haben, findet man auf den Exercierplätzen der Franzosen in Gebrauch. Der französische Soldat lernt, wenn er unterrichtet wird, sich auf das Knie niederwerfen, um aus dem ersten Gliede zu schießen, er lernt links und rechts anzuschlagen, um den links oder rechts stehenden Feind zu treffen; er lernt sich links und rechts ziehen, den Kopf links und rechts drehen, die linke oder rechte Schulter vornehmen. Von allen diesen Uebungen ist keine zum Kriegführen unumgänglich nöthig, fast keine ist anwendbar, und keine von ihnen hat der französischen Armee den Sieg verschafft, denn wenn die erste Flinte losgebrannt ist, so ist bei ihr so wenig an Exerciren zu denken, als bei jeder andern. Man muß also nicht in der niederen Taktik der Franzosen die Ursache ihres Waffenübergewichts aufsuchen, weil diese Taktik bei allen andern vorhanden ist. Man könnte alle französische Ordonnanzen auswendig wissen, ohne das Geringste von dem Wesentlichen ihrer Verfahrensweise zu ahnden; und mit Einem Wort, die Franzosen bedienen sich im Kriege eben so wenig dessen, was sie in dem Rekrutendepots erlernen, als ihre Gegner von den Künsten Gebrauch machen können, welche sie mit so großer Genauigkeit in ihren Exercierhäusern und auf ihren Paradeplätzen ausüben.

Die Anwendung, die die Franzosen von der Wissenschaft der Exercierbewegungen machen, ist es, was ihr militärisches System von denen aller andern Mächte unterscheidet; die Wissenschaft ist in der Praxis etwas ganz anderes, als sie in den Ordonnanzbüchern ist. Das Exercitium und die niedere Evolutionstaktik sind bei den Franzosen nicht der Zweck, welches der Soldat als den Gipfel der Vollkommenheit erreichen muß, sondern es sind Mittel, zu den Resultaten des Krieges zu gelangen. Sie sind unentbehrliche Hülfsmittel zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Uebereinstimmung bei der Armee; sie dienen dazu, den Soldaten die Stimme kennen zu lehren, die ihm im Geist und nach den Absichten der höheren Taktik die Richtung geben soll; sie machen, so zu sagen, die gemeinschaftliche Sprache aus, ohne welche die Armee aufhören würde sich zu bewegen, weil sie sich nicht verstehen würde. Die Evolutionswissenschaft, oder niedere Taktik, ist die Magd der hohen, und hat nur in sofern einen Werth, als sie dieser zu ihren Zwecken nützlich werden kann. Also nicht als Zweck, sondern als Mittel, wird die Exercier- und Evolutionskunst in Frankreich getrieben. Daher sind sie es auch sehr unvollkommen. Der französische Soldat ist der am mindesten unterrichtete von allen heutigen Soldaten; der französische Veteran ist in Betreff der Paradeplatz-Kunststücke ein Anfänger in Vergleich mit jedem Soldaten der andern Mächte. Ein Regiment, oder eine Compagnie Franzosen würde sich auf dem Exercierplatze mit einem Regimente, oder einer Compagnie von jeder andern Nation nie messen können. Selbst dem Nichtkenner würde der beträchtliche Unterschied zwischen der Geübtheit der Franzosen und derer, die es nicht sind, auffallen. Das Exercitium und das Marschiren der Franosen bietet dem Kenner weder Bestimmtheit, noch Genauigkeit dar. Dem militärischen Auge gewährt eine französische Fronte nie den Anblick der Unbeweglichkeit an Menschen und Waffen, welchen man an andern Truppen gewöhnt ist. Die Schwenkungen und Frontbewegungen werden bei den Franzosen nicht mit Genauigkeit vollzogen; gewöhnliche Linienregimenter defiliren selten vom Paradeplatz herab, ohne daß nicht wichtige Fehler im Marsch oder in den Distanzen begangen würden. Die Bewegung einer Fronte hängt nicht von der Haltung einer einzigen Schulter ab, der Soldat ist weder ein Equilibrist, noch ein praktischer Geometer auf dem Exercierfelde, und die Bewegungen des Kniees ist nicht nach Sekunden und Terzen berechnet. Die Bewegungen der Franzosen werden mit Schnelligkeit vollzogen; man sieht mehr auf Uebereinstimmung als auf haarscharfe Gleichförmigkeit. Was in Betreff von Manövres bei den Franzosen befriedigt, würde anderwärts unausstehlich seyn. Dafür ist aber auch bei den Franzosen die Zeit des Unterrichts kurz. Drei Wochen, vierzehn Tage sind hinreichend, um den Conscribirten zur Armee abzufertigen. Ein großer Theil Soldaten berührt nur das Depot, um dort die Flinte zu erhalten und in’s Feld zu rücken; zwei Drittheile der französischen Armee bestehen aus Rekruten ohne Unterricht und Uebung, wovon viele oft nie ein Gewehr losgebrannt haben; so war es besonders im Anfange der Revolution. Und im Grunde, was braucht der Soldat mehr zu wissen, als drei oder vier Worte, die ihn in Bewegung setzen sollen? Der Neuangekommene lernt seinen Vorder- und Hintermann, und auf beiden Seiten seinen Nebenmann kennen; er fühlt links und rechts den Arm seines Nachbarn, das ist oft seine ganze Wissenschaft, und das ist genug. Es ist hinreichend, daß ein Drittheil die Stimme, welche befiehlt, und das Praktische aus Erfahrung kenne; die zwei anderen Drittheile werden durch den Anstoß, den das ältere Drittheil ihnen giebt fortbewegt. Aber trefliche Offiziere und Unteroffiziere, durch den Krieg gebildet, sind da, um zu lenken, zu wachen, nachzuhelfen. Bei einem so locker angelegten System müssen diese unterrichtet seyn, damit sie, als Anstützpunkte und Grenzpunkte in den Bewegungen, ihre eigne Stelle inne zu halten und Jedem die seinige anzuweisen wissen. Die Depots sind vorhanden, so wie auch die Ordonnanzen, damit der Typus zur Aufrechthaltung von Ordnung und Uebereinstimmung, die Seele der Beweglichkeit der Armee, aufbewahrt bleibe. Wenn die Theorie hievon verloren ginge, so würde bald Verwirrung in dem Heere entstehen, und die Massen würden aufhören beweglich zu seyn, weil die Individuen es nicht mehr wären. Da die Schulevolutionen auf fester Stelle nicht mehr den Ausgang der Gefechte entscheiden, so braucht der Soldat nicht als geschickter Manövrist das Depot zu verlassen. Alle Bewegungen laufen darauf hinaus, aus Linien Colonnen, und aus Colonnen Linien zu bilden; das Wissen des Soldaten ist einfach; vier Worte reichen hin, um ihn in die vier Richtungen zu bewegen, deren der menschliche Körper empfänglich ist, und um ihn vollkommen lenkbar für die Hand zu machen, die ihn lenken soll. Aus diesen Bewegungen lassen sich alle militärische Veränderungen zusammensetzen. Die Manövers der Franzosen, aus der Nähe betrachtet, bieten nicht die schulgerechte Genauigkeit dar, nur das allgemeine Zutreffen, welches für den Krieg hinreicht. Und ihre Taktik läßt sich weder auf ihren Exercierplätzen absehen, noch aus ihren Büchern erlernen, sie ist bei ihnen eine praktische Kunst, welche sich nur im Kriege zeigt und entwickelt.

Wie hat sich ein solches System gebildet? Um den Krieg auf eine große und ungewöhnliche Weise zu führen, hatten die Gründer des neuen Systems große und ungewöhnliche Hebel nöthig. Die Revolution wußte diese zu finden; sie, welche die Menschenmassen, die ins Feld zu stellen waren, herbeigeschafft hatte, gab auch die Mittel, sie zu bewegen, an die Hand. In andern Jahrhunderten hatte man die Menschen für die himmlische Seligkeit bewafnet, im unsrigen bewafnen sie sich für die Güter der Erde. Die Revolution hatte einem jeden Individuo gesagt, er habe für seine höchste irdische Glückseligkeit, für seine Freiheit zu kämpfen. Um diese zu vertheidigen, forderte sie von ihm unerhörte Anstrengungen, und legte ihm beispiellose Prüfungen auf. Alles, was nur die menschliche Natur zu leisten und zu dulden fähig ist, schrieb die Revolution ihrem Vertheidiger zu leisten und zu dulden vor. Sie überredete ihn, er gebe sich aus freiem Entschluß und für seinen persönlichen Nutzen hin, und er würde sich um die Menschlichkeit verdient machen, wenn er sich für sein Vaterland aufopfere. Der Soldat, sagte sie, muß alles zu thun und alles zu entbehren wissen: an Berge anklimmen; in Abgründe hinabsteigen; Geschütz mit Händen tragen; es an Pferdes Stelle ziehen; durch Flüsse schwimmen; unter freiem Himmel die Nächte zubringen, ohne bekleidet zu seyn; Gewaltmärsche machen, ohne beschuht zu seyn; sich zu schlagen, ohne Nahrung genommen zu haben; das sagte sie, heißt Soldat seyn. Er muß alles zu thun wissen, was der Krieg fordern kann; er muß sich glücklich schätzen, alles zu thun, was sie ihm auflegt, un er muß die Ueberzeugung haben, er sey zu Allem geschickt. Kurz, der Soldat sagte die Revolution, muß sich nichts zur Gewohnheit machen, als nur die, keine zu haben. Der Soldat muß das Unmögliche können.

So empfing das neue System, aus der Hand der Revolution, den Krieger, den sie für sich bewafnet hatte. Und in der That war der Franzose schon dieser Krieger, während er noch auf vaterländischem Boden stand; als solcher machte er seine ersten Feldzüge; dies war der Geist, den er mitbrachte, und er behielt ihn durch alle nachfolgenden unabänderlichen hindurch; kein Wechsel politischer Systeme hat an der Grundform des Soldaten des neuen Systems die geringste Aenderung bewirkt. Auf den ersten Blick, auf die Oberfläche gerichtet, würde der Fremde freilich im heutigen französischen Soldaten, nicht jenen ursprünglichen Krieger der Revolution erkennen; manche Veränderungen haben seitdem sein Aeußeres getroffen, aber sie bestehen nur in Formen, Farben, Benennungen, sein Wesen ist dasselbe, wie damals, und hat sich unter andern Umrissen nur noch fester begründet. Wer in das Innere der Individuen eingeht, wird dieselbe Empfänglichkeit zu handeln und zu ertragen in ihnen erkennen. Die Geschichte jedes Feldzuges hat bewiesen, und nichts charakterisirt die Armee wohl stärker, als daß sie mitten im Ueberfluß zu entbehren versteht, wie sie im Mangel der ersten Revolutionsjahren that. Man hat sie in Ländern, deren Hülfsquellen ihr durch die Erorberung zugefallen waren, Monate lang ohne Sold bleiben sehen, man hat sie gesehen, nachdem fast nichts mehr zu erobern war, mit neuen Mühseligkeiten ringen, als wenn noch nichts geschehen, alles erst zu beginnen wäre. Woher kommt’s, daß dieser Charakter des Soldaten bleibend geworden? Daher, daß die Revolution ihn ihm gab, indem sie seine ganze Nationalität ins Spiel setzte, das heißt, indem sie allen seinen physischen, moralischen und intellectuellen Anlagen, alle Entwickelung, deren sie empfänglich waren, gab. Um durch sie große Dinge zu wirken, mußten sie nur aufgeschraubt werden, und so ließ man sie unter schönklingenden neuen Benennungen hervorgehen.

Von jeher betrachtete der Franzose sein Geburtsland, sey es um wirklicher, oder eingebildeter Bürger willen, als das erste Land auf Erden, seine Nation als die vollkommenste in der Welt. Die französische Erziehung, die alte sowohl als die neue, lief darauf hinaus, diese Einseitigkeit gewaltig zu nähren, indem sie die Gedanken und Ansichten des Zöglings auf das, was französisch ist, beschränkte und aus seinem Unterricht richtige Kenntnisse von andern Ländern, Völkern und Regierungen ausschloß. Die Revolution zeigte dem Franzosen Frankreich, als auf dem Punkt von Ausländern überzogen und aus der Reihe der Staaten ausgestoßen zu werden. Seine ganze Anhänglichkeit an das Land seiner Geburt ward rege gemacht, durch alle künstliche Mittel aufgereizt, und der Glanz eines Rahmens, welcher bis jetzt nur in den Büchern, als die Bezeichnung eines unbekannten Gefühls, gewöhnlich gewesen, ward ihm geliehen: das Wort Vaterlandsliebe erschallte. Die Nothwendigkeit das Vaterland zu vertheidigen gegen die Angreifer und das Joch des Fremden von ihm abzuwenden, ward mit dem Nahmen der Liebe der Freiheit gestempelt. Die entzündbare Einbildungskraft des Franzosen ward durch rednerische Bilder und tönende Redensarten erhitzt, und da er seinen Enthusiasmus immer durch laute Worte bezeichnen will, so ward ihm an die Stelle des ihm sonst so theuren Ausrufs: Es lebe der König, das Geschrei: Es lebe die Republik! in den Mund gelegt. Um seine ganze Eigenliebe und die Hitze seines Charakters in Bewegung zu setzen, weckte man in ihm jenen ritterlichen Sinn auf, welcher ihm so auffallend auszeichnet, und welcher zu einem eignen System bei den modernen Nationen die Veranlassung gegeben hat, das des Point d’honneur genannt. Diese gewaltige Springfeder ward jedem Gegenstande seines ehrgeizigen Strebens unterlegt, uns sie wirkte mit einer ungeheuren Schnellkraft, als die Revolution dem Franzosen die Welteroberung zum Theil anwies, und den Glorienkranz vorhielt, seine Nation zur ersten der Nationen zu erheben.

Ausländische Schriftsteller haben oft als Triebfeder der Kriegsthaten der französischen Soldaten, ihren Enthusiasmus für ihre politische Freiheit, aufgestellt. Man hat sie sich als wilde Schwärmer gedacht, die, im Taumel ihrer Unabhängigkeit, regellos hereinstürmten. Das Wort Freiheit hat zu dieser Meinung verführt; aber man hat nicht erwogen, wohin dieses Wort, wenn es nicht auf einer andern Unterlage beruhte, führen würde. Ohnstreitig würde es, wenn es mehr als ein schallender Laut wäre, eine Armee auflösen, statt sie in Uebereinstimmung und kräftig nach einem bestimmten Ziele hinzuführen. Sobald jeder Soldat sich frei und unabhängig glaubt, wird er seinen Weg für sich nehmen und außer aller Verbindung mit jedem Impuls von außen her handeln. Die Divergenz der individuellen Thätigkeit wird machen, daß der gemeinsame Zweck stets verfehlt wird; Gehorsam wird nie bey einer Armee von freien Bürgern statt haben. Es ist eine Thatsache, die nicht bekannt ist, aber die bekannt zu werden verdient. Als alle Begriffe von Ordnung und Regel in Frankreich vernichtet waren, verlangte die Armee laut und ununterbrochen Disciplin, denn der Mensch will geführt seyn, und wo ein jeder befiehlt, gehorcht niemand. Der Soldat hatte kein Zutrauen zu den Generalen, welche ihm entgegenschrieen: behalte deinen Hut auf, und brauche nicht das Wort Sie. Die Armee erinnerte sich mit Schrecken der ersten Niederlagen, welche die Undisciplin begleiteten, und die Worte Freiheit und Gleichheit wurden wie Ausdrücke angesehen, die nur auf die Rednerbühnen gehörten. Die Ausländer, welche diese hochtönenden Worte an der Spitze der Proclamationen der französischen Heerführer glänzen sahen, wollten daraus folgern, die Nation sey gänzlich verändert und ein ganz anderer Charakter sey an die Stelle desjenigen getreten, der sie seit Jahrhunderten kenntlich gemacht hatte. Aber kann eine Nation in einem Augenblick sich verändern, und einige rednerische Redensarten, häufiger gebraucht als gewöhnlich, beweisen sie die Umwandlung der Gewohnheiten, Sitten und herkömmlichen Ideen eines Volkes? Die Nahmen waren verändert, aber der Grund der Dinge war derselbe; er beruhte auf den, dieser Nation eigenthümlichen, moralischen und geistigen Anlagen; man hatte sie bloß erhöht und gespannt; und so wie für die Größe der Armee, so war für alles der Maaßstab im revolutionirten Frankreich anders angenommen worden.

Die militärische Ehre, das ist die uralte und unversiegbare Quelle, aus welcher diejenigen, die die Gewalt in Frankreich in Händen hatten, fünfzehn Kriegsjahre hindurch, hinter einander geschöpft haben. Ein einziger Blick auf den Lauf des Krieges reicht hin, um dies zu beweisen. Durch alle Parteiwechsel und Regierungsveränderungen hindurch hat die Armee unerschütterlich ihre Laufbahn fortgesetzt, und keine Staatsrevolution hat sie von derselben abgewendet, noch die geringste Aenderung in ihrem Betragen hervorgebracht. Der Jacobinismus, der Terrorismus, der Moderantismus, und - man kann sagen, der Republikanismus - sind in den Lägern eigentlich nur als Zeitungsausdrücke, an welche die Soldaten keinen Sinn knüpften, bekannt gewesen. Immer haben diese mit denselben Anstrengungen und derselben Hingebung gefochten, obgleich die allgemeine Sache nicht immer dieselbe gewesen ist, sie, die innerhalb fünfzehn Jahren die widersprechendsten Systeme durchlaufen hat, und am Ende das äußerste Extrem von dem ist, was sie im Anfang war. Der König, Robespierre, das Directorium, vier Constitutionen verschwanden hinter einander, und die Soldaten waren immer dieselben, von ihren Fahnen und ihren Generalen wußten sie nur, und für diese war nichts ihnen unmöglich. So hat man sie noch neuerlich in Plattböte eingeschichtet gesehen, sie haben das Ruder und die Segel und die See-Kanonen gehandhabt; weder Elemente, noch Jahrszeiten, noch Climate haben sie bisher irre gemacht; und sie sind im Jahre 1807 gewesen, was sie im Jahr 1793 waren. Dies kommt daher, daß die Triebfeder, die sie in Bewegung setzt, nicht in einem politischen Machtspruch eingeschlossen liegt, und nicht von dem vorübergehenden Anstoß eines Augenblicks abhängt; sie liegt tiefer, sie ist in einer steten und unabänderlichen moralischen Anlage, in einem Grundzuge des Nationalcharakters begründet, in der militärischen Ehre. Man hat diesen Zug durch Aufmunterungen und Einrichtungen aller Art genährt, und so hat man durch ihn, mitten durch alle äußern Wechsel hin, die Gewohnheit der großen Anstrengungen und der ungeheuren Aufopferungen, welche die Revolution eingeführt hatte, aufrecht gehalten. Die Franzosen schlagen sich immer noch, wie im Jahre 1792, wo es um ihre politische Existenz zu thun war, und darum geht es auch immer noch um die Existenz derer, mit denen sie sich schlagen. Da diese Anstrengungen und Aufopferungen bei den Franzosen immer gewöhnliche Regel gewesen sind, so ist es zu begreifen, wie sie immer weit mehr zu leisten vermochten, als ihre Gegner, die keine moralische Triebfeder der ihrigen entgegen zu setzen gesucht haben. Bey wenigen Armeen sieht man vielleicht, was bey der französischen nicht ungewöhnlich gewesen ist, daß ein Regiment das andere, welches häufiger in’s Feuer geschickt wird, beneidet, bei den Generalen anfeindet; daß Regimenter bei den Befehlshabern klagen, nachsuchen, intriguiren, um gebraucht, um auf gefährliche Posten gestellt zu werden, und daß man Bitten dieser Art gestattet, um auszuzeichnen und zu belohnen. Und im letzten Kriege hat sich die Charakteristik, die Voltair von seinen Landsleuten machte, ganz bestätigt, wenn er sagte: Die Thoren haben ihren Kopf voll Ehre, Und gehn zum Kampfe, wie zum Tanz.

Es versteht sich von selbst, daß diese Ehre der Franzosen nicht das ist, was der Philosoph Ehre nennt, und wovon die moralischen Lesebücher die Definition geben: im Gegentheil ist es dieses dunkle und unbestimmte Gefühl, welches von jeher bey der französischen Armee den Zweikampf unterhalten hat, und welches wie der Rauch alle Gestalten und Richtungen annimmt, eine solche Ehre kann sich mit allen moralischen Widersprüchen vertragen und sogar Excesse begleiten. Man könnte dieser Ehre die Schande zum Ziel vorstecken, und das Verbrechen zum Gegenstande geben, ohne daß sie in ihrem Streben nachließe. Und wie sollte sie nachlassen? Ist denn nicht der Krieg die Kunst des Zerstörens und des Todes? Dies ist der hohe Zweck, den man dem Franzosen vorhält; er glaubt, es sey kein ehrenvollerer für seine Bestrebungen vorhanden, kein größerer Ruhm zu erringen. Und worin hat er nicht seit fünfzehn Jahren seine Ehre gesetzt! Wenn ein Weiser ihn überzeugen könnte, daß die größte Ehre darin bestehe, vor der Welt das Beispiel der Mäßigung, der Eingezogenheit zu geben, und daß er durch die Tugenden des Friedens und der Menschlichkeit seine Nation zur ersten der Erde erheben könne, dann würde man dieses leicht fortzureissende Volk in seine Heimath zurückkehren und sich der stillen Tugenden befleißigen sehen, um durch sie die erste Rolle zu spielen, wie es sie durch den Krieg gespielt hatte.

Viele glückliche Charakter-Anlagen der französischen Nation vereinigten sich mit jener Leidenschaft der Ehre, um den Soldaten zu dem zu machen, was er ist. Um das Unmögliche zu thun, war jener leichte Sinn nöthig, welcher das Schwere als leicht darstellt, und jener Dünkel, welcher nie am Gelingen des Thuns und Handelns zweifeln läßt; es war jene leichte Stimmung nöthig, welche an allen Ereignissen eine angenehme Seite aufzufinden weiß, und die Schläge des Schicksals zu verachten im Stande ist; kurz, jene moralische Gewandheit, die bei dem Franzosen, eine Naturanlage, bey allen andern Nationen aber das Resultat der Anstrengung und langer Uebung ist, die, sich in die Begebenheiten zu schicken und ihnen nicht zu unterliegen. Zu diesen glücklichen Anlagen, die die Revolution im französischen Soldaten geltend gemacht hat, gehören auch eine gewisse ihm eigenthümliche Lebhaftigkeit, eine gewisse Ungeduld und Rastlosigkeit des Charakters, die ihn unaufhörlich vorwärts treibt, und nach Veränderungen begierig macht. Eine Art Krieg zu führen, welche in ununterbrochenen Bewegungen bestand, und immerfort schnelle Entscheidungen und baldige Entwickelungen versprach, schickte sich besonders für solch einen Charakter. Ueberdies erhielten die körperliche Leichtigkeit, Geschicklichkeit und Gewandtheit des Franzosen, so wie sein gesunder Verstand und seine Schlauigkeit, bei einer Taktik, die ihrer Natur nach leicht war, und bei dem freieren Spiel, den der Postenkrieg selbst den untergeordneten Individuen giebt, ihre volle Wirksamkeit. Auch schmeichelte dieses System, das den großen Krieg der Natur der einzelnen Gefechte nahe brachte, dem Geschmack der Franzosen, welche, an Leibesübungen und besonders an das Fechten gewöhnt, im Kriege den Zweikampf erblickten, der in Frankreich von jeher so hoch in Ehren stand.

Die Anwendung, welche die Revolution von den intellectuellen und physischen Anlagen der Franzosen auf den Kriege gemacht hat, hat die Taktik der Armeen hervorgebracht; die Anwendung, welche sie von ihren moralischen Anlagen gemacht hat, hat den Geist der Armee begründet. Beide sind durch eben so außergewöhnliche, und man könnte vielleicht sagen, gewaltsame Mittel, als die Revolution selbst außergewöhnlich und gewaltsam war, befestigt worden; und diese waren Hoffnung und Furcht, Belohnung und Strafe. Als die Revolution die Unterschiede der Geburt aufhob, fügte sie der Triebfeder der Ehre die des Interesses bei, und bald gingen aus dem Staube der Gefechte, mit einer Schnelligkeit, den Märschen der Franzosen gleich, Befehlshaber und Feldherren hervor. Man erinnert sich gleichfalls jener Milliarde, einstmals den Vaterlandsvertheidigern versprochen, und wem sind die Belohnungen an Geld, und Gütern und Titeln, die den Generalen in den letzten Zeiten zu Theil wurden, unbekannt geblieben! Noch schwebt’s einem jeden im Gedächtnis, daß die Guillotine Feldherrn die Köpfe abschlug, weil sie die erhaltenen Befehle nicht erfüllt, oder die vorgeschriebenen Plane auszuführen nicht verstanden hatten. Zu der Zeit, als die gesetzgebende Versammlung durch ein Decret eine Schlacht zu gewinnen befahl, gab es keinen Mittelweg zwischen Sieg und Blutgerüste, und Jourdan, der im Jahre 1793 viermal über die Sambre gegangen war, hätte es nfoch eben so oft wiederholt, weil er Befehl hatte, Charleroi zur Uebergabe zu bringen und eine Schlacht bei Fleurus zu gewinnen. Diese nachdrucksvollen Mittel, welche den Geist der Armee auf die Anlagen, die den der Nation ausmachen, gebaut hatten, haben ihn für lange Zeit festgestellt. Er wird dauern, so lange die Regierung es verstehen wird, ihn geltend zu machen, und er wird sich dann äußern, wie er sich unablässig geäußert hat; in einer großen Einheit des Wirkens, durch einen gewaltigen Anstoß von oben herab erzeugt, unter welchen geschmeidig sich alle einzelne Willen beugen.