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Preuß. Husaren 1812
Abschnitt IV

Während der ersten 14 Tage, wo wir in diesem Bivouak stehen blieben, hatten wir glücklicherweise gleich im ersten Augenblick eine kleine bedeckte Getreidedarre in Beschlag genommen, worin wir Offiziere des Regiments sämmtlich des Nachts unter Dach lagen . - In Rußland werden größtentheils die Getreidegarben gleich auf dem Felde gedarrt; diese Darre besteht aus armdicken runden Baumstämmen, die, in ein Viereck zusammengefügt, ungefähr einen Durchmesser von fünf Fuß haben. Die Höhe dieses oben offenen Kastens beträgt vielleicht 16 bis 18 Fuß, wovon 8 Fuß in die Erde eingegraben, die andern 8 bis 10 Fuß über derselben hervorstehen; die Mitte des innern Raumes ist durch dünne Latten, die Zwischenräume haben, abgetheilt, damit die Wärme und der Rauch des unten brennenden Feuers durchziehen könnten, um die oben hineingelegten Korngarben zu trocknen. Ueber diesem Kasten ist eine Strohbedachung, die rundherum bis zur Erde reicht und nur einen Eingang hat; der Raum von mehreren Fuß um den Kasten war nun unser Nachtlager.

Das längere Verweilen in diesem Bivouak, wo auf einem Raume von einer halben Meile über 20,000 Mann und Pferde kampirten, mußte bald Mängel an Lebesnmitteln und Fourage herbeiführen, denn die in der Nähe befindlichen Nahrungsmittel waren in wenigen Tagen verzehrt und die Kosaken machten jede weitere Entfernung einzelner Leute unsicher; daher wurden große Kommandos, aus allen Truppenarten zusammengesetzt, diesen sogar zuweilen Artillerie beigegeben, abgesendet, um aus entfernteren Gegenden Lebensmittel und Fourage herbeizuschaffen; doch wenn auch diese noch so bepackt zurückkehrten, war der Vorrath nur auf einige Tage ausreichend und mußte daher öfter und in immer weitern Entfernungen fortgesetzt werden, wodurch Leute und Pferde sehr fatiguirt wurden, die zuweilen einen ganzen Tag unterweges waren, und doch bestanden dann im glücklichsten Falle unsere Nahrungsmittel nur aus grobem, sehr schlechtem Brot, Mehl, das auf Handmühlen gemahlen, indem in Rußland die Wind- und Wassermühlen nur in der Nähe großer Städte sind, und einigen Hülsenfrüchten; unsere Pferde bekamen nur Roggen-, Gersten- und Hafergarben, die auf dem dem freien Felde unter Scheuern standen. Indem nun unsere Noth mit jedem Tage höher stieg, wurden wir nicht wenig überrascht, als die bei Ostrowa blessirten beiden Kameraden, der Rittmeister v. Manteuffel und Premierlieutenant v. Rudorff, hier bei uns eintrafen; Beide waren noch nicht völlig wiederhergestellt, doch ihr Diensteifer führte sie uns nach. Unsere Freude, sie wiederzusehen, war sehr groß, nur mußten wir bedauern, sie unter so ungünstigen Verhältnissen bei uns aufzunehmen. Einige Kartoffeln und etwas Hammelfleisch hatten sie aus Moskau mitgebracht, dieses wurde sogleich gekocht und war für uns ein großer Leckerbissen, der uns in den Augenblick alle unsre Leiden vergessen machte. Besonders waren uns die Kartoffeln etwas sehr Ungewohntes, da dieselben in keinem Bauernhause in Rußland vorgefunden wurden.

Unser Brigade-General bat fast täglich einen der Offiziere zum Essen zu sich; allein derselbe litt auch Noth und theilte nur das Wenige, was ihm gebracht wurde, mit denselben.

So konnte der 12. Oktober herangekommen seyn, und alle meine Lebensmittel waren völlig aufgezehrt; mir blieb nichts übrig, als entweder zu verhungern oder auf’s Gerathewohl mehrere Meilen fortzureiten, um mir solche aufzusuchen. Diesen Entschluß theilte ich dem Premierlieutenant von Eisenhard mit, bat mir 12 noch ziemlich berittene Husaren aus, um damit eine Patrouille zu machen, und versicherte, nur mit Lebensmitteln oder gar nicht zurückzukehren; doch mein Gesuch wurde abgelehnt, weil der Verlust von 12 Pferden leicht zu befürchten sey. Nun ritt ich mit meinem Burschen allein, und schloß mich an ein melirtes Fourage-Kommando an, welches nach einer Gegen marschirte, wo wir bereits mehreremale gewesen waren und wo sich nur noch einige Korngarben befanden. Wir konnten vielleicht zwei Meilen geritten seyn, als wir hier anlangten; sobald die Kommandirten die Garben auf die Pferde gepackt hatten und nun ihren Rückmarsch antraten, beredete ich den dabei von unserm Regiment kommandirten Lieutenant von Bonin mit mir weiter fort nach Lebensmitteln zu reiten; derselbe übergab sein Kommando einem andern Offizier der Brigade und blieb mit seinem Burschen bei mir. Wir verfolgten nun die einmal genommene Richtung und ritten auf kleinen Feldwegen einem dichten Tannenwalde zu; unterweges fanden wir die Ueberbleibsel einiger verbrannter Leichname, denn die Kosaken, und besonders die russischen Bauern, bewickelten häufig ihre Gefangenen mit Stroh und verbrannten sie dann. Dies war freilich für uns ein schauderhafter Anblick, doch wir mußten das Außerste wagen, um nicht Hungers zu sterben. - Nachdem wir den Wald passirt hatten und ungefähr drei Meilen von unserm Bivouak entfernt waren, sahen wir auf einer Plaine vor uns ein Dorf liegen; obgleich die Gebäude desselben sich noch in ganz gutem Stande befanden, so war doch weder ein Bauer noch ein lebendiges Wesen im Orte, nur einige französische Kürassiere und Dragoner trieben sich in der Nähe desselben herum, um ebenfalls nach Lebensmitteln zu suchen. Diese schlossen sich uns an; wir durchsuchten die Bauerhäuser auf’s Genaueste, fanden aber nicht das Mindeste. Indem wir nun betrübt dieses Dorf verließen, bemerkten wir einen ziemlich betretenen Fußsteig, der nach einem dichten Tannenwalde gleich jenseits des Dorfes führte; diesem folgten wir, doch am Walde angekommen, wurde dieser Fußsteig so schmal und war von beiden Seiten so dicht mit jungen Tannen bewachsen, daß wir nun Einer hinter dem Andern vorwärts weiter konnten. Wir setzten uns in Trab, und nach Verlauf einer Viertelstunde gelangten wir mitten im Walde auf einen kleinen freien Platz, wo eine Menge Bauerfamilien bivouakirten; Männer und Wagen waren jedoch nirgends zu sehen, vor den kleinen Strohhütten brannten Feuer; die Frauen und Kinder erhoben ein jämmerliches Geschrei, als sie uns erblickten. Eiligst naheten wir uns diesen Hütten, durchsuchten die davorstehenden Säcke, fanden aber nur Hanfkörner darin; obgleich ich nun mehreremale mit dem Worte Cleba! Brot forderte, erhielt ich keine andere Antwort als: nima! nima! Endlich faßte ich einen Sack, worin vielleicht 5 bis 6 Metzen grobes Mehl waren, dieses wurde rasch in den stets auf meinem Pferde bei mir geführten Quersack geschüttet; schon fielen mehrere Schüsse, die die versteckten Bauern auf uns richteten. Mein Diener hatte bereits früher die Weisung erhalten, stets dicht hinter mir zu bleiben, um mir, wenn ich absaß, das Pferd zu halten. Ein Franzose, der mehr vorwärts geritten war, kam zurück und versicherte, daß unweit dieses Bivouaks eine Menge Bauerwagen, mit Lebensmitteln beladen, aufgefahren ständen; dorthin eilten wir nun Alle und fanden diese Aussage auch bestätigt. Indem ich nun zu einem dieser Wagen hinreite, die Leinwanddecke herunterziehe und große Säcke voll Lebensmittel finde und eben im Begriff bin, abzusteigen, fallen mehrere Schüsse; alle meine Kameraden jagen zurück, denn viele bewaffnete Bauern dringen auf uns ein. Ein längeres Verweilen war unmöglich, selbst die Stelle, von wo aus ich an den Wagen gekommen, war nicht räthlich zu passiren, und um nicht gefangen zu werden, mußte ich es wagen, zwischen zwei sehr nahe aneinander stehende starke Bäume durch, und mit dem Pferde über die Wagendeichsel zu springen. Auf diese Art gelang es mir, den Uebrigen zu folgen. Zu Einem hintereinander fortjagend, hatten die vordersten Franzosen einen Fußsteig eingeschlagen, der nahe bei dem Frauenbivouak vorbeiführte, und verfolgten denselben, obgleich wir hinten ihnen zuriefen, halten zu bleiben, da wir weit genug entfernt waren, um nicht von den Bauern getroffen zu werden. Endlich blieben sie halten und es wurde nun gemeinschaftlich berathen, was wir nun beginnen wollten. Mehrere waren der Meinung, wiederum nach dem Wagenbivouak zu gehen, doch da es schon ziemlich dunkel geworden war, hielt ich es für’s Beste, zum Regiment zurückzukehren; mit dem gefundenen Mehl konnte ich mehrere Wochen ausreichen, und bot dem Lieutenant von Bonin eine Theilung an, wenn er ebenfalls mit mir käme, da ich befürchtete, daß er gefangen werden könnte und ich doch die Ursache war, daß er micht begleitet hatte. Mein Zureden half aber nichts, Bonin ritt mit ungefähr fünf oder sechs Franzosen zurück, da er noch nichts erbeutet hatte; mir folgten die übrigen drei oder vier Franzosen und mein Bursche. Mit Mühe fand ich den Fußsteig zum Frauenbivouak und den, worauf wir in den Wald hineingekommen waren; da die Bauern nun bereits aufgeregt waren und sich sehr leicht in den dichten Tannensträuchern versteckt, uns beim einzelnen Vorbeireiten mit Piken herunterstechen konnten, mußten wir mit vieler Vorsicht zurückreiten. Einige hundert Schritte vor dem Ausgange des Waldes hörte ich mehrere Schüsse fallen und konnte erwarten, daß die Lisiere desselben mit Bauern besetzt sey; um uns nun nach Möglichkeit zu sichern, ritt ich allein ungefähr 50 Schritt vor den Andern, schlich mich ganz leise mit der Weisung fort, daß, wenn ich etwas Feindliches bemerken würde, mein lautes Hurrahrufen sie davon benachrichtigen, und sie dann im Galopp mit vielem Geschrei mir nachjagen sollten. Ohne feindliche Bauern zu sehen, gelangte ich aus dem Walde und bemerkte nun auf der Plaine mehrere französische Kavalleristen, die, wie es schien, sich mit einigen Bauern herumschossen. Nachdem ich nun die hinter mir Folgenden wieder an mich herangerufen hatte, setzten wir unsern Marsch weiter fort, vereinigten uns mit den herumschwärmenden 8 bis 9 Kavalleristen, um den nächsten Weg zu unserm Bivouak zurückzufinden. Einer dieser letztgenannten Franzosen wollte gut Bescheid wissen, mußte sich an unsere Spitze setzen und uns führen. Es war nun schon ganz finster geworden, mehrere Stunden ritten wir ohne Weg oder Steg im hohen Walde umher, bis wir endlich an einen Sumpf gelangten, wo wir nicht weiter geradeaus konnten; der uns führende Franzose gestand selbst ein, daß er sich verirrt habe und nicht wisse, nach welcher Seite wir reiten müßten. Nun übernahm ich dessen Stelle, ritt links den Sumpf entlang, und glücklicheweise fanden wir nach Verlauf einer Viertelstunde einen Weg, wo eine Brücke nach dem jenseitig liegenden Dorfe führte. Nahe bei diesem Dorfe angekommen, sahen wir mit Erstaunen fast alle Bauerhäuser erleuchtet und mußten befürchten, daß die Einwohner, des Nachts über in ihre Wohnungen zurückgekehrt, uns den Durchgang im Dorfe streitig machen würden. Mit Vorsicht und möglichster Stille ritten wir hinein, um nicht von Neuem den Weg in der Finsternis zu verlieren; Alles blieb im Dorfe ruhig, endlich erreichten wir den andern Ausgang desselben; hinter dem letzten Gebäude, nahe dem Wege, war ein Bivouakfeuer, um welches sich mehrere Menschen bewegten, doch konnte man ihren Anzug nicht erkennen; behutsam schlichen wir uns heran, und fanden zu unserer Beruhigung, daß dies Franzosen waren; freundlich wurden wir hier aufgenommen, und da unsre Pferde sehr ermüdet und auch wir hungrig waren, blieben wir einige Stunden hier. Nun erfuhren wir, daß das Dorf nicht von Bauern, sondern von Franzosen belebt sey, die hier auf Handmühlen Korn mahlten und Brot backten. Es war zu erwarten, daß die Kosaken unsere Spur bald auffinden und uns am nächsten Morgen verfolgen würden, deshalb ruhete ich hier nur so lange aus, bis die Pferde gefressen hatten und getränkt waren und ich meinen Mehlbrei verzehrt hatte; mit meinem Burschen allein ritt ich weiter; auf einer Anhöhe unfern dieses Dorfes sah ich am äußersten Horizont den Himmel stark geröthet und konnte mit Gewißheit unsern Bivouak nach der Gegend vermuthen; zwei Meilen war derselbe wohl noch entfernt; nur langsam mußte ich weiter reiten, um in der Dunkelheit den Weg nicht zu verlieren. Gegen drei Uhr gelangte ich wieder nach einem Dorfe, das ebenfalls mit Franzosen und Polen gefüllt war, die vom Fouragiren zurückkamen und hier übernachteten; erst am Morgen um 8 Uhr traf ich beim Regiment ein und erzählte nun, wie leid es mir gethan hätte, daß ich nicht die 12 Husaren bei mir gehabt, da ich mit diesen, unter einem Kommando vereinigt, mehrere Wagen mit Lebensmitteln herbeigeschafft haben würde. Denn wenn wir auch an Kopfzahl dort eben so stark waren, so ritt jeder nach seinem eigenen Gutdünken und es war kein geordneter Trupp. - Der Lieutenant von Bonin kam einige Stunden später an; er war zur Wagenburg zurückgeritten, hatte aber nur einige Metzen Erbsen und Mehl bekommen; auch er hatte sich im Walde verirrt und kam fast auf demselben Wege zurück, den ich gefunden hatte. - Nun sollte ein Kommando dorthin gesendet werden, wo wir gewesen waren; hierzu wurde der Lieutenant v. Kamecke kommandirt, möglichst genau beschrieb ich demselben den Weg, jedoch nur wenige Stunden war Kamecke fortgewesen, als er mit seinen Kameraden versprengt zurückkam, da er von einem starken Schwarm Kosaken angegriffen, zurückgeworfen und bis zum Bivouak verfolgt worden war.

Unsere Vorposten-Chaine befand sich ungefähr 800 Schritt vor dem Bivouak; hier fanden bereits seit mehreren Tagen mit dem Feinde Unterhandlungen statt; man sah mehrere vornehme russische und französische Generale lange zusammen verweilen, und glaubte, daß ein Friede zu Stande kommen würde. - Auf diese ungewöhnliche Ruhe von 14 Tagen erfolgte am 18. Oktober früh Morgens ein feindlicher, ganz unerwarteter Angriff, dieser traf zuerst das links neben uns stehende Korps des Generals Sebastiani, welches viele Leute und seine ganze Artillerie verlor; letztere gebrauchte der Feind sofort gegen uns, und obgleich wir beim ersten Allarm sogleich ausrückten, verloren wir mehrere Leute und Pferde durch dieses Kanonenfeuer. Die Lieutenants v. Eisenhard und v. Crayen wurden blessirt und das Pferd des Letzteren ihm unter dem Leibe getödtet. Ueber mir sah ich eine Granate in der Luft schweben, die dicht bei mir zur Erde fiel, platzte und den linken Hinterfuß meines Pferdes zerschmetterte. Wie man uns späterhin erzählte, hätte nur die Geistesgegenwart des Königs von Neapel das ganze Korps gerettet, indem derselbe eiligst die beiden Karabinier-Regimenter mit sich genommen habe, um ein Defilee zu vertheidigen, wo der Feind im Begriff gewesen sey, zu defiliren und uns den Rückzug nach Tarutino abzuschneiden.

Sobald wir das Flüßchen, die Nara, bei Tarutino passirt hatten, ließ der Feind uns zu verfolgen nach und wir bezogen einen Bivouak vor dem abgebrannten Schlosse. - Unser Verlust bestand in 4 Mann 6 Pferden an Todten und 7 Mann 15 Pferden Blessirte.

Vom 19. bis 21. Oktober verweilten wir in diesem Bivouak; am 22sten brachen wir auf und passirten am 23sten Borowsk; am Abend des 24. Oktobers trafen wir bei Malo-Jaroslowetz ein, wo bereits ein heftiges Gefecht stattfand und das Regiment in der Reserve verblieb. Hauptsächlich fochten hier nur Infanterie und Artillerie um den Besitz der Stadt, die auf einem Bergkamm des jenseitigen Ufers der Lucha sehr vortheilhaft gelegen war. Nachdem die Stadt, mit bedeutendem Verlust an Menschen von beiden Theilen, endlich gegen Abend genommen war, durchritten wir die Lucha und bezogen einen Bivouak gleich jenseits von Malo-Jaroslowetz. Mehrere Tage standen wir hier, aber täglich wurde der Feind durch Seitenmanöver beunruhigt, und deutlich konnte man merken, daß wir nicht Willens waren, auf der großen Straße gegen Kaluga weiter vorzurücken. Der Lieutenant v. Probst traf hier, aus Moskau kommend, völlig genesen wieder bei uns ein.

Am Abend des 27. Oktobers kam ein holländischer Husaren-Offizier, der früher, vor 1806, in preußischen Diensten gestanden hatte, zu uns, und sagte, daß wir uns in dieser Nacht zurückziehen würden; als Signal des Abmarsches sollte das vor uns liegende große Dorf angezündet werden und dann drei Kanonenschüsse folgen. Diese Nachricht überraschte uns alle sehr, da wir nicht das Mindeste davon geahndet hatten, doch ein Jeder war im Herzen froh, endlich den Weg nach der Heimath anzutreten. Um Mitternacht erfolgten wirklich diese Signale; das brennende Dorf beleuchtete die ganze Umgegend, doch aber verhinderten der Rauch und die Helle des Feuers, jenseits etwas zu sehen, weshalb der Feind unsern Abmarsch nicht bemerkt haben mußte. In größter Stille gingen wir links von Malo-Jaroslawetz vorbei und gelangten bald auf die große Straße, die nach Wereia führt, ohne vom Feinde verfolgt zu werden.

Gleich nach der Wegnahme von Malo-Jaroslawetz waren alle Bagage, Artillerie und sämmtliche Truppen, außer dem Kavalleriekorps von Mürat, auf diesem Wege nach Wereia abgegangen und daher einige Tagemärsche uns vorausgeeilt.

Doch kaum war am 28sten Oktober die achte Morgenstunde herangenaht, als die Kosaken hinter uns erschienen und mit unbeschreiblichem Jubel, zu beiden Seiten der Straße, worauf wir zurückgingen, uns umgingen, jagten sie über eine halbe Meile weit voraus und eskortirten uns förmlich.

Ein französischer Chasseuroffizier war zufällig abgesessen und hierdurch etwas zurückgeblieben; sogleich sprengten mehrere Kosaken an ihn heran, und hätten ihn gefangen genommen, wenn wir Offiziere aller Waffengattungen nicht zurückgeritten wären, um diesen Kameraden zu befreien. Der Oberst des Regiments, von dem dieser Offizier war, wollte uns seine Dankbarkeit zu erkennen geben, und traktirte uns mit seinem ganzen Vorrath an Branntwein, der in einem kleinen Fäßchen herumgereicht und aus demselben ohne Becher oder Glas getrunken ward.

Unser Regiment, nun noch ungefähr 20 Pferde stark, bildete mit den übrigen Resten der Division die Arrieregarde; der Marsch ging über Wereia und Moshaisk, es war des Nachts schon recht empfindlich kalt und, da der Feind stets dicht hinter uns war, auch bereits Artillerie herbeigeschafft hatte, wurde unsere Lage sehr bedauernswürdig. Mit vieler Mühe konnten wir das vorgefundene wenige nasse Holz zum Brennen bringen, um uns zu erwärmen und den Mehlbrei, unsere einzige Kost, zu bereiten. - Auf dem Schlachtfelde von Moshaisk angekommen, wo noch fast sämmtliche Todte starr gefroren lagen, bezogen wir den Bivouak an den Mauern des abgebrannten Klosters Borodino. Hier wurde uns, nach einer sehr kalten Nacht, den folgenden Morgen die Nachricht, daß unser Regiment nun völlig aufgelöst werde, und aus der Zahl der Kombattanten trete; jeder noch übrig gebliebene Offizier konnte mit seinem Burschen nach Willkür sich bewegen, doch wurde es uns freigestellt, ob wir uns an einen oder den andern General anschließen wollten. Die Mehrzahl der Offiziere zog es vor, allein zurückzureisen, denn von einem Marsch konnte nicht mehr die Rede seyn. Mit dem Lieut. v. Bonin trat ich gemeinschaftlich diese Rückreise an; jeder hatte einen leinenen Quersack mit Mehl oder Grütze hinter sich im Sattel; dies, unser einziges Subsistenzmittel, war des Nachts unser Kopfkissen, damit es uns nicht gestohlen würde, wie es Mehreren schon gegangen war. Der eintretende Mangel an Salz veranlaßte uns, Schießpulver in den Mehlbrei zu schütten, wodurch dieser, ganz schwarz gefärbt, nciht nur ein widerliches Ansehn, sondern auch einen sehr schlechten Geschmack bekam; doch der Hunger trieb denselben hinunter. In Gshat bivouakirten wir zwischen den Trümmern der früher abgebrannten Häuser; unsere Pferde mußten sich bereits seit mehreren Tagen an altem Dachstroh sättigen, denn Korngarben waren nicht mehr zu bekommen. Den folgenden Tag faßten wir den Entschluß, so lange fortzureiten, bis wir ein anderes Armeekorps erreicht haben würden; gegen Abend wurde die Straße von Menschen leer, und als wir noch einige Stunden ritten, sahen wir vor uns mehrere Bivouakfeuer und schlossen nun daraus, daß wir unsern Vorsatz erreicht hätten. Neben der Straße, in einem dichten Fichtenbusche, fanden wir einen guten Platz zum Uebernachten, da wir hier gegen Wind und Kälte einigermaßen geschützt waren. Es hatte bereits geschneit, und sobald wir Feuer angemacht, wurde der Schnee zur Bereitung unseres Mehlbreies benutzt. - Beim Anbruch des Tages waren wir eben im Begriff abzureiten, als wir in unserer Nähe viel Lärm und Geschrei hörten; eiligst verließen wir den Fichtenbusch und hörten von den versprengten Franzosen, daß die Kosaken dicht neben uns einen Ueberfall gemacht und viele Wagen davon geführt hätten. Auch fanden wir eine französische reitende Batterie, die sich beeilte, die Höhe auf der Straße zu gewinnen; sobald sie dieselbe erreicht hatte, nahm der Artillerie-Offizier die zur Bedienung der Geschütze berittenen Leute, ungefähr 20 Mann, zu einem Zuge formirt, zusammen, und machte gegen die links der Straße aufmarschirten Kosaken einen Angriff; letztere zogen sich sogleich zurück, kehrten aber bald wieder um und attakirten die mehr vorwärts befindliche Kolonne Fußgänger, die größtentheils ohne Waffen und von allen möglichen Truppenarten waren. Ein Oberst der französischen Gensd’armerie sprang vom Pferde, und versuchte diesen ungeordneten Haufen Soldaten zu einem Bataillons-Quarré zu bilden; mit vieler Mühe gelang es ihm, mehrere Hundert in Reih und Glied zu bringen, um den angreifenden Kosaken Widerstand zu leisten, allein kaum waren die Kosaken etwas weiter entfernt von ihnen, um mehrere Equipagen der Generale wegzunehmen, so löste sich das vom Oberst zusammengebrachte Bataillon sogleich wieder auf, und jeder lief einzeln auf der Straße fort, um das auf einer Plaine, eine halbe Meile vor uns liegende Wyasma zu erreichen. Aus den eben angeführten schönen Kutschwagen sprangen mehrere sehr wohlgekleidete Damen heraus und liefen quer übers Feld, um den Kosaken zu entfliehen. Wir und die einzelnen Berittenen setzten unsern Weg fort, ohne von den Kosaken berücksichtigt zu werden und kamen in Wyasma glücklich an. - Das französische Garde-Grenadier-Regiment zu Pferde marschirte so eben aus dieser Stadt, wo es übernachtet hatte, und konnte wohl noch über 200 Pferde stark seyn, alle mit Rappen beritten, die noch in ziemlich gutem Stande waren. Eine Stunde hinter Wyasma fanden wir ganz unerwartet mehrere unserer Regimentskameraden, die krank sich bei der Bagage aufgehalten hatten. Von diesen erfuhren wir nun, daß sie an demselben Morgen von den Kosaken überfallen, nicht nur den Kassen- und Medizin-Wagen verloren, sondern daß auch gleichzeitig der Rittmeister v. Manteuffel gefangen worden sey. Deselbe litt immer noch an seiner Blessur am Arm, und durch die Fatiguen waren ihm die Füße so angeschwollen, daß er nicht reiten konnte, und sich auf einem Wagen befand, als die Kosaken den Angriff machten. Niemals haben wir von diesem braven, und von uns allen sehr geschätzten Mann etwas gehört, wahrscheinlich hat er dort einen schmerzhaften Tod gefunden. Mit den übrigen Kameraden setzten wir nun unsre Reise fort; wahrscheinlich mußten wir uns bei dem Korps des Vicekönigs von Italien befinden, denn wir gingen von Dorogobusk rechts auf ungebahnten Wegen; besonders war der Uebergang über den Wop sehr beschwerlich, indem es seit einigen Tagen gethaut hatte, und die zu passirenden Wiesen zum Steckenbleiben weich waren. Des Nachts, wo wir einigemal in den von den Einwohnern verlassenen Häusern einen Ruheplatz fanden, war man sehr besorgt, von den Kosaken überfallen zu werden. Der General Sebastiani nahm sich der Führung dieser Kolonne angelegenlichst an, stets war er persönlich da, wo ein Stocken bei Passirungen von Schluchten oder Defileen entstehen könnte.

Wir gingen durch Duchowszina, und den folgenden Tat trafen wir bei Stubna in die große Straße, die von Petersburg nach Smolensk führte.