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Franz. Armee
Abschnitt VIII

Wir haben untersucht, worin das neue Kriegssystem besteht? Wir haben gesehen, worin man es mit Unrecht setzt. Wenn man seinen Blick noch weiter richtet, so wird man gewahr, daß dieses System für jetzt nur noch in der Praxis statt findet; dies ist der Grund, warum die Theoretiker es nicht haben entdecken können. Es ist auch eben so leicht darzuthun, daß selbst bei den Franzosen dieses System noch weit entfernt ist, als ein Ganzes durchdacht zu seyn, und daß es noch bei weitem nicht auf klare und bestimmte Grundsätze gebracht ist, bis jetzt haben die Franzosen nicht Zeit gehabt, an die Feststellung einer Theorie zu denken. Ein Blick auf ihre Armee wir dies beweisen.

Die Franzosen haben Einrichtungen und Gewohnheiten des alten Systems beibehalten, welche oft nicht nur unnütz sind, sondern sogar im Widerspruch mir ihrem neuen System stehen. Ihre Schultaktik ist dieselbe, die sie ehemals war, und die sie, wenige Abweichungen ausgenommen, bei andern Armeen ist; wir haben schon oben ihre Rekruten in den Uebungsörtern, und ihre Soldaten auf den Exercierplätzen gesehen. Der Grundunterricht des einzelnen Mannes läuft auf Paradekleinigkeiten in Gliederbewegungen und Körperstellungen hinaus. Aber was noch mehr ist, die Wissenschaft, Menschenhaufen, Sectionen, Pelottons, Bataillone zu bewegen, ist bis jetzt eben so wenig mit der höheren Taktik, ihren erhaltenen Abänderungen gemäß, in Bezug gesetzt worden, als die Kunst die Individuen zu bewegen. Keine Reform hat noch für das Deployiren und Formiren der Colonnen, für die Fronteveränderungen, und andere wesentliche Manövres, statt gehabt; keine, um die Verfahrungsarten beim Abbrechen der Linien, und dem Aufmarsch in Schlachtordnung zu beschleunigen oder zu vereinfachen. Alle alten, oft langen und unsicheren Methoden sind beibehalten worden, und selbst sehr empfehlungswürdig bei andern Armeen eingeführte Gewohnheiten, wie z.B. der Diagonalmarsch in die Schlachtlinie, und die verschiedenen Bewegungen aus der Flanke, sind bisher bei der französischen Armee ohne Anwendung geblieben.

Aber die Kleidung, die Ausrüstung des französischen Soldaten? Hier wird wahrscheinlich eine große Zweckmäßigkeit herrschen? ... Die Kleidung des Soldaten ist in Schnitt und Form ganz dieselbe, die sie vor der Revolution war; nur die Farbe hat sie verändert. Die Infanterie hat von allen Infanterieen Europens das am wenigsten militärische Aussehen. Die Uniform des Fußsoldaten hat die Länge und Weite eines Bürgerrocks, er hat nichts von dem eleganten, oft in’s Puppenhafte fallenden Zustutz, welcher die Soldatentracht bei allen Armeen auszeichnet. Indessen diese französische Uniform ohne Nutzen bis auf die Wade herabsinkt, setzt der vordere Ausschnitt den Leib der Berührung der Luft aus. Die Kopfbedeckung des Infanteristen ist der dreieckige Hut, welcher wegen seiner unbequemen und hervorspringenden Außenlinien in Reih und Glied beim Exercieren, und auf dem Bivack, beim Regen wie beim Winde, kurz bei allen Vorallenheiten des Soldatenhandwerks die allerunpassendste und hinderlichste Bedeckung abgiebt. Der Infanterist trägt, wie zu Königs Zeiten, eine Weste mit Schößen, kurze Hosen, Stiefeletten, die bis an’s Knie gehen und geknöpft sind, und Schnallschuhe. Der Grenadier trägt eine Bärenmütze, welche durch ihre Höhe und Schwere jede freie Bewegung dem Kopf und dem Körper verbietet, und Regen und Schweiß in Güssen auf diesen herableitet. Zum Unterschiede von den Musketieren tragen die Grenadiere und Unteroffiziere einen Säbel, der über die Schulter herabhängt. Die Kanoniere, Dragoner und alles, was Rock trägt, sind wie die Infanterie gekleidet und bloß durch die Farbe unterschieden. In den unterworfenen oder zinsbaren Ländern läßt man der Infanterie, nach jedesmaliger Landesgewohnheit, Kittel oder Mantelröcke verabreichen. Die Cavallerie ist mit mehr Sorgfalt ausgerüstet; die Husaren, Jäger und Dragoner sind es oft mit Eleganz. Aber nirgends sit die Cavallerie vielleicht schlechter beritten und abgerichtet. Der französische Cavallerist scheint dem Ausländer keinen Schluß zu haben und nicht fest in den Steigbügeln zu sitzen. Er hat zu wenig Reitunterricht, um guter Reiter zu seyn, und um den Chok furchtbar zu machen. Der Anzug der Individuen bei allen Waffenarten ist ohne pünktliche Uniformität in Formen und Farben, und selbst in den Garnisonen erlaubt sich jeder Soldat mehr oder weniger seinem eigenen Geschmack darin etwas nachzugeben. Die Leute, aus denen die Infanterie besteht, sind ohne Ansehen in Rücksicht des Wuchses, und die des ersten Gliedes gehen nicht über die Mittelgröße des Mannes. So verlangt sie der Grundsatz der Conscription; sie giebt die Soldaten Ludwigs XIV. und Friedrichs II. Die Musketiere haben weder Säbel, noch Säbelgehenk; sie tragen das Bayonnet an die Patrontasche befestigt. Die Cavalleristen werden nach der Größe aus der Conscription ausgesucht. Die Garde zu Fuß und zu Pferde besteht aus Leuten, die aus der Auswahl der Armee ausgewählt sind, sie machen in Betreff der Größe und des Anzuges eine Ausnahme. Die Armee nach der Garde beurtheilen, ist eine Fehlschluß, der oft von Ausländern begangen wird.

Vielleicht geschieht es, daß die Franzosen, wenn der Friede ihnen Ruhe giebt, und die Zeit über ihr Kriegssystem nachzudenken! manche Einrichtungen, Gewohnheiten und Verfahrungsarten, welche bisher bei ihnen statt hatten, abändern oder abschaffen. Wenn die wichtigen Erfahrungen des Krieges benutzt werden, so muß daraus eine ganz neue Organisation entspringen, und die Armee muß in ganz anderer Gestalt hervorgehen. Bei einem Kriegssystem, dessen unterscheidender Charakter der Ueberfluß und die Größe aller möglichen Hülfsmittel, mit der größten Einheit und Stärke zum Zweck benutzt, ist, müssen alle Bestandtheile ganz anders vertheilt und geordnet seyn, als bei einem System, welches darin bestand, aus mittelmäßigen und beschränkten Hülfsmitteln den größtmöglichen Vortheil zu ziehen. Dieses war das System Friedrichs II. und derer, die in die Fußstapfen dieses großen Feldherrn getreten sind; es ist jenem gewichen, welches das Kind der Revolution ist. Die französische Armee würde für den Frieden eben so große Lehren geben können, als sie für den Krieg gegeben hat. Alle Armeen müßten eigentlich ihre Gestalt verändern. Die Aenderungen, die die französische Armee würde machen können, würden nicht bloß auf die Kleidung, Kopfbedeckung, Beschuhung des Soldaten gehen, sie würden das Wesen der allgemeinen Organisation der Armee treffen. Die Praxis hat bewiesen, daß es zwei Wissenschaften in der Taktik giebt, eine für den Krieg: die hohe Taktik, Strategie; und eine für den Frieden: die niedere Taktik; daß die Kunst der Terrains und der Kriegsschauplätze von der der Paradeplätze und Exercierhäuser sehr abweicht. Zwei ganz durchaus verschiedene Wissenschaften würden zwei ganz verschiedene Reglements erheischen können. Vielleicht würde man für den Krieg, die sogenannte leichte Infanterie abschaffen, weil jede Infanterie jetzt leicht ist und seyn muß; vielleicht würde das Rottenfeuer, oder das beliebige Feuer allein, als das für den Krieg brauchbarste, beibehalten, und jene Bataillon- und Pelottonfeuer, deren vorzügliches Verdienst im starken Knallen und in dem kindischen Spiele besteht, eine große Anzahl vereinigter Schüsse wie einen einzigen Schuß klingen zu lassen, würden weggeworfen werden? vielleicht würde man die Infanteriesoldaten lehren wie Jäger zu zielen und mit Gewißheit zu treffen; vielleicht würde man ihre Gewehre in Gewicht und Schäftung ändern; was die Cavallerie betrifft, vielleicht würde man die Zahl der Schießgewehre, mit der sie beladen ist, vermindern; vielleicht würde man ihre Equippirung, ihre Unterweisung und ihren Dienst ändern.

Wenn es aber wahr ist, daß die Regierungen in Friedenszeiten ihre zahlreichen Soldaten nicht nützlicher beschäftigen können, als sie bis jetzt gethan haben; wenn, um die Laster des Müssigganges zu verhindern, es nöthig ist, die Soldaten zu den Prachtvorstellungen der Paradeplätze abzurichten; wenn die Strenge in den Details erforderlich ist, um sie in die Unterwürfigkeit der Disciplin und dem blinden Gehorsam zu erhalten, nun, so bleibe denn dieses Geheimnis, in gegenwärtigem Jahrhundert, wo die Armeen größer sind als sie je waren, als das höchste der erhabenen Geheimnisse des Handwerks, in der Brust der Obern und Eingeweihten eingeschlossen, und so lege man sich in Frankreich auf die Kunst der Paradeplätze mit mehr Fleiß, als bis jetzt geschehen ist! Die Soldaten des kleinsten deutschen Fürsten werden hierin der französischen Armee zum Muster dienen können. Das französische Exercitium, so wie es bisher getrieben ist, wird nicht die Genauigkeit darbieten, welche die Schule verlangt. Seiner Natur nach ist es das unregelmäßigste, weil es das kürzeste ist. Jedes Exerciertempo wird wie ein einziger Griff ausgeführt, die verschiedenen Griffe, aus denen es besteht, werden im Reglement beschrieben, damit der Exerciermeister beim Unterricht eine Richtschnur habe, aber in der Anwendung werden sie nicht ausgedrückt, sondern sie werden mit der größten Schnelligkeit in einen Hauptgriff, welches das Tempo ist, zusammengeschmolzen, und dies heißt bei der Armee in Kunstausdruck: sie werden weggehext [escamotter heißt das Wort]. Dies ist nothwendig, weil die Franzosen keine Flügelmann, der jeden Griff vordemonstrirt, und nicht einmal ein Wort zur Bezeichnung eines solchen Vordemonstranten, besitzen. Statt dessen zeigt der Ton im Kommando, welches in das Erinnerungs- und das Vollziehungskommando zerfällt, den Anfang des zu machenden Tempos an, seine Dauer, und folglich sein Ende wird durch die größtmögliche Geschwindigkeit bestimmt. Dies sind mit Einem Worte die Grundsätze des französischen Exercitiums, und die ganze Uebereinstimmung, die bei demselben möglich ist.

Nachdem Friedrich der Große, die Kunstmassen zu bewegen, geschaffen und als Meister, während sieben Jahren geübt hatte, sahe er sich genöthigt zur Bewahrung des Friedens eine große Armee zu unterhalten; er ließ sich nun zu kleinlichen Details herab und organisirte jenen thätigen Müßiggang, welcher zum Zweck hat, Menschen auf dem Paradeplatz hin und her zu bewegen. Der große Haufe verstand den König falsch, und sah das Zufällige für das Wesentliche an, die Exercierplätze für Treffenplätze. Ueber alles theoretisches Studiren vergaß man, was in der Anwendung brauchbar war, und je mehr die Friedenskunst sich vervollkommnete, desto mehr ward die Kriegskunst den Heerführern fremd. Die niedere Taktik tödtete die höhere, man erinnerte sich nicht mehr, daß Friedrich als großer Strategetiker Krieg geführt hatte, die Wissenschaft der Korporale verdrängte die der Generale, und bald beging man den Fehler, Exerciermeister gegen Meister im Waffenbewegen in’s Feld zu stellen.

Was ist zu thun? Worin muß man den Franzosen nachahmen, um ihnen im Kriege die Wage zu halten?

Wir wollen auf das Gesagte einen schnellen Ueberblick werfen. Wir haben im neuen Kriegssystem folgende Grundbestandtheile gefunden: Ueberwiegende Zahl der Streitenden; Vereinfachung des Unterrichts des Soldaten; topographische Kombinationen für die Plane der Feldzüge; Leichtigkeit, Beweglichkeit der Armee; Schnelligkeit der Bewegungen; Ausdehnung der Operationsbahnen; Nachdruck in den Unternehmungen; Kühnheit im Ausführen; volle Unterwerfung unter den leitenden Willen.

Wenn die Macht, die sich den Franzosen im Kriege gleich setzen will, die Truppenmenge sich gesichert haben wird, so würde sie nur die Auftritte der Perser gegen die Griechen, der Türken gegen die Russen, wiederholen, wenn sie nicht die Menge mit Einsicht und Zweckmäßigkeit vertheilen und anführen ließe. Hiemit werde das Talent beauftragt; alle Wissenschaften des Jahrhunderts müssen zu seinem Gebote seyn, und die Oberfläche der Erde müsse das Feld seines Nachdenkens werden. Die Menge, anders geführt, würde nur Niederlagen bereiten.

Zugleich müßte das Heer jener Macht, um zum neuen Kriegssystem zu geschickt zu seyn, den Muth haben, sich allen Entbehrungen zu unterziehen; es muß verstehen, manches von seiner Schönheit, von seinen glänzenden Niedlichkeiten, von seinen Bequemlichkeiten, von seinen Nothwendigkeiten sogar, aufzuopfern; es müßte sich entschließen, in der niederen Taktik zurückzugehen, um ganz der höheren zu Gebot zu stehen. Jene muß nicht ganz abgeschafft, aber sie muß von allem Ueberflüssigen und Unnützen gesäubert, und auf das zurückgebracht werden, was nöthig ist, um sie mit dieser in Uebereinstimmung zu setzen. Nur der Mangel an dieser Uebereinstimmung hat die Auflösung des bisherigen Systems verursacht. Die Praxis, aus der Nothwendigkeit entsprungen, wird besser lehren, was einzuführen ist, als alle Reglements. Der Buchstabe ist nicht lebendig. Um die österreichische Armee leicht zu machen, ward vor dem Feldzuge von 1805 durch ein strenges Reglement die Zahl der Schnupftücher und jedes Paar Strümpfe bestimmt, welches die Offiziere in’s Feld nehmen durften, und die Reitpferde wurden ihnen abgenommen, allein, diese Reglements-Leichtigkeit war nicht vermögend, die Armee vor Unfällen zu schützen, welche die Monarchie in das Innere erschütterten. Der Mangel an Zelten, an Kleidung und Lebensmitteln in den ersten Feldzügen der Franzosen legte den Grund zu einer sich ganz hingebenden, beweglichen, bedürfnislosen, alles bei sich und in sich tragenden Armee. Eine Armee, welche so beschaffen seyn soll, muß ganz in der Hand, die sie leitet, stehen; aber eine solche Armee läßt sich nicht durch Reglements schaffen. Ein österreichisches Reglement vom Jahre 1806 hat befohlen, daß der Soldat nicht mehr geschlagen, daß er an Strapazen gewöhnt, daß sein Gemüth zum Ehrgefühl erhoben werden soll. In den letzten Jahren sind fast bei jeder Armee des Continents Einrichtungen angenommen worden, welche von der Berührung zeugen, in die sie mit dem französischen Heere gekommen war. Ihr Nutzen wird davon abhangen, ob sie für die Individualität jedes Heeres passend sind. Man muß aus den physischen und moralischen Anlagen, oder aus den durch die Erziehung entwickelten Fertigkeiten derer, die eine Armee ausmachen, Vortheil zu ziehen wissen, um die Armee auf die Stufe der höchsten Zweckmäßigkeit zu stellen. Bei jeder Nation, bei den Einwohnern jeder Provinz, und fast jeder Stadt sind gewisse Eigenthümlichkeiten vorhanden, welche benutzt werden können. Die eine wird gute Schützen, die andre gute Reuter, die dritte vielleicht gute Schanzer liefern. Für moralische Wesen giebt es keinen unabänderlichen, allpassenden Leisten. Die Schweizer und deutschen Regimenter der ehemaligen Französischen Armee, die niederländischen Regimenter bei der österreichischen, hatten ihre eigene Verfassung in Disciplin, und Ordnung. Es würde schwer seyn, das Point d’honneur da zu organisiren, wo seine Bestandtheile nicht in den Köpfen und Herzen vorhanden sind. Das Zutrauen des Soldaten in seine Befehlshaber, sein Vertrauen in seine eigenen Kräfte, sein Haß gegen den Feind müssen sich auf den Nationalcharakter stützen, wie die Haltung, die Disciplin und die ganze anzunehmende Verfassung überhaupt. Dieser Grundlage zu Folge kann die Ergebenheit einer Armee gezwungen, oder freiwillig seyn. Es würde sehr unpassend seyn, die französische Disciplin bei andern Armeen einzuführen zu wollen, weil sich der französische Charakter nicht erschaffen läßt. So wie der Stock die französische Armee auflösen würde, so giebt es vielleicht Armeen, welche nicht ohne körperliche Strafen in Ordnung zu halten wären. Die Furcht wird bei der einen Armee hervorbringen, was die Ueberredung bei der andern wirkt. Jedes Motiv kann fruchtbar an Resultaten werden; man muß es nur aufzufinden und wirksam zu machen wissen. Nur auf diese Weise wird man Nationalität gegen Nationalismus zu setzen im Stande seyn. Ein Heer, dessen Soldaten, bei Niederlagen, dem Verrath die Schuld geben, ist kein Heer von Feigen: es beschuldigt vielleicht den Verrath, weil jeder Einzelne den ganzen Umfang seiner Dahingebung und Treue, mit welcher er seine Kräfte anstrengt, fühlt; ein jeder fühlt, daß er für seine Person unüberwindlich seyn muß, und die Niederlagen, die um ihn her erscheinen, mißt er Ursachen bei, die außer ihm liegen. Eine solche Armee wird Wunder thun, sobald man jedem einzelnen ihrer Glieder die feste Ueberzeugung gegeben hat, daß die unerläßliche Strafe jedem, der seine Pflicht nicht thut, bevorsteht, welchen Ranges er sey, und daß für den Feldherrn, wie für den letzten Soldaten zwischen Pflicht und Tod kein Mittelweg ist. Die besten Armeen brauchen das Wort Verrätherei; es giebt Armeen, wo es nie gehört wird; diese müssen ganz anders geführt werden , als jene. Ganz anders ist wieder die Armee zu behandeln, welche gleich beim Anfange ihren Feind unüberwindlich glaubt.

Aber, wenn nun die Nationalität aufgefunden ist, muß nicht, wenn man sie in Schwung setzen soll, die Nation selbst sich im Revolutionszustande befinden? Muß nicht die Nation sichs zum Zweck machen, die ganze Welt mit Revolution zu überziehen? ....... So kraftlos und schlaff auch das Geschlecht ist, unter welchem wir leben, so würde man ihm doch wohl unrecht thun, wenn man annähme, daß von allen Verkehrtheiten die größte, und von allen Motiven der tadelhafteste, nur einzig im Stande wäre, den Völkern Thatkraft zu geben. Das Jahrhundert selbst hat über dieses Motiv schon das Verdammungsurtheil ausgesprochen, und die Franzosen sogar lassen es von sich nicht gelten. Bei ihnen war die Revolution nur das Hülfsmittel, ihre Nationalität in Thätigkeit zu setzen, die Revolution selbst war bei dem fechtenden Soldaten weder Triebfeder, noch Zweck. Sie hat gedient dem höchsten Nationalmotiv, dem Point d’honneur, die Entwickelung zu geben, deren es fähig war. Hätten denn alle andere Nationen in unsern Tagen durchaus keinen eigenthümlichen Zug, und keine Nationalmotive aufzuweisen? .... Hätte keine irgend einen Grundzug dem Point d’honneur des Franzosen entgegen zu stellen? Hätte keine auch nur ein einziges Gefühl, eine einzige Idee, ein einziges Interesse geltend zu machen? Nirgends wäre also heutiges Tages ein einziger Gegenstand der Vorliebe, ein einziger überwiegender Bewegungsgrund mehr vorhanden? Nicht ein einziger mehr? auch nicht ein solcher mehr, der in der Sprache des Jahrhunderts ein Vorurtheil hie? .....

Wenn es irgendwo noch eine Nation gäbe, die ihre uralten Sitten, ihre Gewohnheiten und Gebräuche unversehrt erhalten hätte; welche eine eigene von allen andern Sprachen abgesonderte Sprache besäße; welche in ihrem Busen die Erinnerung eines ehemaligen Ruhms und der Gewohnheit, siegreich zu seyn, aufbewahrte, eine Nation, welche das Gefühl in sich trüge, selbstständig zu seyn; wenn eine solche Nation außerdem für den Reiz der Rangbeförderungen, welche etwa der Tapferkeit zugesagt würden, und für Belohnungen, dem Verdienste versprochen, empfänglich wäre; wenn eine solche Nation eine große Anhänglichkeit für ihren Regenten und eine grenzenlose Unterwerfung gegen ihre Befehlshaber hätte; wenn eine solche Nation endlich vielleicht eine eigne, ohne Vermischung erhaltene, Religion und eine noch ungeschwächte Vorliebe für ihren Glauben hätte; eine solche Nation würde eine große Masse von Nationalität darbieten, und zu was für Unternehmungen würde sie nicht elektrisirt und mit Nutzen geführt werden können?

Sollte man nicht durch das einzige Motiv der Religion so viel ausrichten können, daß es keines andern mehr bedürfte, weil keiner dem gleich kommt, das aus dem Himmel herabkommt und zu ihm hinaufsteigt, und welches den Tod zum Anfange eines bessern Lebens, als des Erdenlebens, macht. Wie weit kräftiger ist ein solches Motiv, als das der Ehre, dieser kalten Idee, welche das Herz leer läßt, ewig unter den Erdengegenständen umher irrt, ohne sich an einen besonders zu schließen. Diese, ihrem Wesen nach kalte, und ihrem Zwecke nach, unbestimmte Idee, hat indessen so große Wirkungen hervorgebracht; sie hat einer Nation, welche durch ihre hohe Civilisation den Bequemlichkeiten des Lebens am meisten anhängt, eine Energie gegeben, welche den Mühseligkeiten des Lebens und den Schrecken des Todes getrotzt hat, welche sie gleichsam aus ihrem Charakter hinausgesetzt, über den ihre Zeitgenossen erhoben, und so alle Ausrechnungen der Wahrscheinlichkeit vernichtet hat. Haben die Franzosen nicht die ganze Heftigkeit der Türken, die Entbehrungsfähigkeit der Spartaner, die Strenge der Römer, die Festigkeit der Deutschen, die unerschütterliche Beharrlichkeit der Russen und ihre bewundernswürdige Ausdauer in Mühseligkeiten und Leiden gezeigt? Wenn also der Bewegungsgrund der Ehre bei den Franzosen so merkwürdige Erscheinungen hervorgebracht hat, was würde nicht bei einer andern Nation der Bewegungsgrund der Religion, wenn diese ihr Höchstes wäre, hervorzubringen im Stande seyn! - Oder, wenn dieser Hebel seine Kraft verloren hätte, vielleicht würden noch manche irdische Bewegungsgründe vorhanden seyn, welche viel zu wirken vermöchten. Vielleicht wäre dies die Anhänglichkeit an ein regierendes Haus, das einst Talente und Tugenden hervorgebracht hätte; vielleicht wäre es die Gefahr einer fremden, unrechtmäßigen Herrschaft; vielleicht würde eine Regierung Wunder wirken, wenn sie die einfache Erklärung erließe, daß weder Dienstalter, noch Geburt, noch Gunst, diese Pestbeulen der Staaten, künftig das Näherrecht auf die militärischen Stellen geben; daß sie bloß dem Talent gehören sollen; daß persönliches Verdienst und Tapferkeit allein Auszeichnungen und Belohnungen zu erhalten, und daß nur im Fall gleichen Werths, das Dienstalter Ansprüche zu machen habe.

Das Kriegssystem eines andern Volkes wird ganz anders seyn, als das der Franzosen, und muß ganz anders seyn, wenn es auf seine wahre Nationalität gebaut ist; aber diese Nationalität, worin sie auch bestehen möge, gehörig in’s Spiel gesetzt, muß große und wirksame Resultate hervorbringen. Nicht durch die Natur der Mittel und der Anstrengungen muß man es den Franzosen gleich thun, sondern durch ihre Größe, Zweckmäßigkeit und Kraft, wenn man in der Größe der Wirkungen ihnen gleich werden will. Aber man muß aufhören das Außerordentliche mit gemeinen und kleinlichen Mitteln, das Neue durch das Abgenutzte zu bekämpfen. Die Franzosen, noch Neulinge in der Kriegskunst, besiegten ihre geübten und erfahrnen Gegner durch die Neuheit ihrer Verfahrungsarten und die Sonderbarkeit ihrer Mittel, aber sie wurden ihrer Seits wieder von Menschen besiegt, welche in der Kriegskunst noch mehr Neulinge und noch weniger erfahren waren als sie selbst, durch die Bauern der Vendée. Eine noch excentrischere Taktik, eine Masse noch mächtigerer Motive stellte sich den ihrigen entgegen, und die Bauern der Vendée siegten. Die neuen republikanischen Taktiker hatten Schanzen mit Flinten eingenommen, die neuen Taktiker der Vendée nahmen ihre mit Knitteln ein. Die Letzteren hatten über das Unmögliche der Ersteren hinauszugehen gewußt. Dem Außerordentlichen mußten außerordentliche Mittel entgegengesetzt werden; dem Extrem das Extrem. Auf unbekannten Wegen, durch unerhörte Mittel mußte bekämpft werden, was unbekannt und unerhört ist!

Sagt nicht, alle Wege seyen betreten, alle Mittel verbraucht. Hätten die Franzosen auch aus ihrer Nationalität alle Hülfe gezogen, so ist doch, was dem menschlichen Geiste möglich ist, noch lange nicht alles erschöpft. Jedes System war siegreich, als es neu war; jedes ging bei seiner Erscheinung vom Gewöhnlichen ab, war unbekannt, unerhört. So die Elephanten des Pyrrhus; die leichten Reuter der Parther, die tiefen Haufen der Germanen. Als das preußische System mit dem Geschwindschießen auftrat, war die Welt in Staunen, und der Sieg folgte ihm auf dem Fuß nach. Die Franzosen haben gewußt das Schießen zur Nebensache zu machen, und haben gesiegt. Ueber die Streiterzahl, die ihr System aufgestellt hat, wäre thöricht hinaus gehen zu wollen, man müßte denn ganze Völker ins Feld führen und alle Erzeugnisse der Länder in Armee-Proviant und Soldatensold verwandeln; um die Artilleriemasse der Franzosen zu überwiegen, müßte man alle Metalle in Geschütz verwandeln. Aber dem Genie sind noch unbetretene Bahnen offen; sie rufen es herbei, um ein Ziel zu erringen, das des edelsten Ehrgeizes werth ist; wer dort hinlangt, kann der Wohlthäter des Menschengeschlechts werden, denn nur durch die Kunst des Zerstörens kann ihm nunmehr eine bessere Zukunft gesichert, kann der Gespanntheit der Kräfte ein Ziel gesetzt, und ein Maaß vernünftiger Verhältnisse im Wollen und Streben wieder hergestellt werden. Vielleicht liegt das Mittel nicht fern. Vielleicht daß nach dem System des Geschwindschießens der Preußen, und des Nebenbeischießens der Franzosen, ein System sich erhebt, das im Gutschießen seine Stärke sucht; die Armee, die zuerst mit dieser Geschicklichkeit aufträte, würde nicht der Ueberlegenheit der Anzahl brauchen, um siegreich zu seyn; durch die Natur ihres Mittels würde sie ihr System an die Stelle des bisherigen setzen. Vielleicht wird auch eine leichte, flüchtige Reuterei der Beweglichkeit der heutigen Fußarmee ein Ziel stecken; eine solche Reuterei müßte der Kunst der Angriffe und der Rückzüge eine neue Gestalt geben. Vielleicht liegt es einer Armee nahe, eine Infanterie durch Cavallerie auf das Schlachtfeld zu fördern; einer so neuen Mischung beider Waffenarten müßten große Entscheidungen vorbehalten seyn. Vielleicht daß das Bayonnet ....... doch nein! Ewig bleibe es unvervollkommnet, damit das neunzehnte Jahrhundert nicht die Schande habe, den Krieg, den eine Reihe seiner Vorgänger menschlicher zu machen sich bemüht hatte, auf den gräßlichen, zerfleischenden Vertilgungskrieg zurückzubringen. Was für ein System aber nun auch zuerst auftreten mag, so wird das Gefühl der Ueberlegenheit, welches immer die ersten Vortheile begleitet, einen Geist der Armee hervorbringen, dem in den Wirkungen ähnlich, der das französische Heer ausgezeichnet hat; wie ein Schutzgeist wird er über der neuauftretenden Armee schweben; er wird vor ihr hergehn, alles, was ihr auf ihren Wegen entgegen kommt, niederwerfen, und ihr unerhörte Mittel zu Geboth stellen.

Wie diese Wege und diese Mittel ausfinden? ..... Durch Handeln; dieses Handeln ist der Krieg. Wenige Monate, im Felde gelebt, werden besser lehren, was brauchbar, was überflüssig ist, als Jahre in der Theorie zugebracht. Wo die Offiziere finden, gleich fähig den Impuls zu empfangen und zu geben, gleich geschickt zu gehorchen und zu befehlen, und im Dulden wie im Handeln zu Mustern zu dienen? ....Im Kriege ..... Wo die Generale für das Schlachtfeld finden, mit dem Blick des Terrains, mit der Kühnheit des Augenblicks, dem kalten Blute zum Anordnen und Leiten? ... Im Kriege ..... Wo Feldherrn für Feldzüge finden mit der großen Umsicht, die über Länder und Jahreszeiten wegreicht, die außer der Vernichtung der feindlichen Heere, auch die Erhaltung der eignen umfaßt? .... Der Krieg wird sie geben.

Das Beispiel liegt vor euren Augen. Ihr habt eine Armee anfangen gesehen, ohne Feldherren, ohne Generale, ohne Offiziere, ohne Disciplin und ohne Taktik; diese Armee hat sich durch den Krieg gebildet und hat ihr System im Gewühl der Schlachten erschaffen. Seht, was sie in’s Werk gesetzt hat. Sie hat alle Systeme umgestürzt, und hat die Welt in ihren Grundfesten erschüttert.